Hast du schon einmal von Bogislav von Selchow und seiner Verbindung zum thüringischen Ort Mechterstädt gehört? In diesem Artikel erfährst du mehr über den deutschen Schriftsteller, Marineoffizier und Anführer des Studentenkorps Marburg, der aus dem Adelsgeschlecht derer von Selchow stammte. Tauche ein in die Geschichte des Ritterguts Mechterstädt, eines der Güter im Besitz der Familie von Selchow, und entdecke die Rolle, die Bogislav von Selchow als Gutsherr in Mechterstädt spielte.
Die Spuren von Bogislav von Selchow führen uns zurück in eine Zeit, in der das Adelsgeschlecht von Selchow im Potsdamer Raum, der Prignitz und der Altmark Besitzungen hatte. Lass dich von der fesselnden Lebensgeschichte dieses bemerkenswerten Mannes mitreißen und erfahre mehr über seine Verbindungen zu Mechterstädt und darüber hinaus.
Biografie von Bogislav von Selchow
Bogislav von Selchow wurde am 4. Juli 1877 in Köslin geboren und trat nach seinem Abitur im Jahr 1897 in die Kaiserliche Marine ein. Dort durchlief er eine Ausbildung zum Offizier und nahm an zahlreichen Seefahrten teil. Im Laufe seiner militärischen Karriere erhielt er verschiedene Auszeichnungen, darunter den Kung-Pai-Verdienstorden im September 1904 und das Eiserne Kreuz II. Klasse im Februar 1915.
Jugend und militärische Laufbahn
Während des Ersten Weltkriegs war Selchow aktiv an den Kampfhandlungen beteiligt. Er diente unter anderem als Erster Offizier auf dem Schulschiff Victoria Louise und wurde am 22. März 1914 zum Korvettenkapitän befördert. Am 1. Mai 1915 erlitt er eine Verwundung bei Het Sas in Belgien. Für seine Leistungen während des Krieges wurde ihm am 30. Juni 1916 das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen.
Datum | Ereignis |
---|---|
15. März 1902 | Beförderung zum Oberleutnant zur See |
11. September 1904 | Verleihung des Kung-Pai-Verdienstordens |
22. März 1914 | Beförderung zum Korvettenkapitän |
7. Februar 1915 | Verleihung des Eisernen Kreuzes II. Klasse |
1. Mai 1915 | Verwundung bei Het Sas/Belgien |
30. Juni 1916 | Verleihung des Eisernen Kreuzes I. Klasse |
20. Mai 1918 | Verleihung der Großherzoglichen Hessischen Tapferkeitsmedaille |
20. August 1919 | Beförderung zum Fregattenkapitän |
Nach Kriegsende arbeitete Selchow bis 1919 in der Admiralität und im Reichsmarineamt, bevor er als Fregattenkapitän aus der Marine ausschied. In dieser Zeit veröffentlichte er auch die propagandistische Schrift „Weltkrieg und Flotte“ (1918).
Studium und Führung des Studentenkorps Marburg
Im Jahr 1919 begann Bogislav von Selchow ein Geschichtsstudium an der Universität Marburg. Dort gründete er das „Studentenkorps Marburg“ (StuKoMa), einen Zeitfreiwilligen-Verband der Reichswehr. Das Studentenkorps wurde von der Reichswehr ausgerüstet und bestand aus sechs Kompanien, die sich aus Studenten verschiedener Verbindungen zusammensetzten.
„Das Studentenkorps Marburg war eine paramilitärische Einheit, die unter der Führung von Bogislav von Selchow stand und sich aus nationalistisch gesinnten Studenten rekrutierte.“
Neben seiner Tätigkeit im Studentenkorps Marburg war Selchow auch Anführer der Organisation Escherich (Orgesch), einer illegalen paramilitärischen Vereinigung. Seine Aktivitäten in diesen rechtsgerichteten Organisationen prägten seine politische Ausrichtung in den folgenden Jahren maßgeblich.
Die Rolle von Selchow beim Kapp-Putsch
Bogislav von Selchow spielte eine zentrale Rolle beim Kapp-Putsch im März 1920. Als Führer des Marburger Studentenkorps hatte er bereits im Vorfeld des Putsches seine Einheiten eingeteilt, um öffentliche Gelder für die Putschisten zu beschlagnahmen und jüdische Banken in Marburg zu besetzen. Das Studentenkorps bestand aus zwei Bataillonen mit insgesamt etwa 1.800 Männern, die sich freiwillig gemeldet hatten.
Das erste Bataillon unter Selchows Führung umfasste 805 studentische Freikorpskämpfer, von denen viele Reserve-Offiziere und Unteroffiziere waren. Das zweite Bataillon wurde von Hauptmann Karl-Ludwig von Buttlar befehligt und setzte sich aus verschiedenen Kompanien zusammen, die unterschiedliche Ziele verfolgten. Demokratisch und links gesinnte Studenten wurden von der Teilnahme am Studentenkorps ausgeschlossen.
Bataillon | Kommandeur | Anzahl Kompanien | Besonderheiten |
---|---|---|---|
1. Bataillon | Bogislav von Selchow | 6 | 805 studentische Freikorpskämpfer, viele Reserve-Offiziere und Unteroffiziere |
2. Bataillon | Hauptmann Karl-Ludwig von Buttlar | 4 | Spezifische Zusammensetzung der Kompanien für unterschiedliche Ziele, angegliederte „Volkskompanie“ mit Mitgliedern der Weimarer Koalition und Studentenverbindung „Hassia“ |
Nach dem Scheitern des Kapp-Putsches führte Selchow das Studentenkorps nach Thüringen, um bewaffnete Konflikte mit Arbeitern zu unterdrücken, die von der USPD und KPD dominiert wurden. Bei diesen Einsätzen kam es zu den berüchtigten „Morden von Mechterstädt“, bei denen Mitglieder des Studentenkorps am 25. März 1920 15 aufständische Arbeiter auf der Straße von Mechterstädt nach Gotha erschossen.
„Die Aktion des Studentenkorps in Thüringen führte zu zahlreichen Toten unter den an dem Aufstand beteiligten Arbeitern.“
Trotz Anklage wurden die Täter später freigesprochen. Selchows Rolle beim Kapp-Putsch und den anschließenden Ereignissen in Thüringen zeigt seine antirepublikanische Haltung und seine Bereitschaft, Gewalt gegen politische Gegner einzusetzen.
Das Massaker von Mechterstädt
Im Frühjahr 1920 bildeten sich in Thüringen Arbeiterwehren, um den Kapp-Putsch niederzuschlagen. Sie gingen gegen Anhänger des Putsches vor und entwaffneten diese, so auch in Bad Thal bei Ruhla. Als Abgesandte des Marburger Studentenkorps unter Führung von Bogislav von Selchow dort eintrafen, um angebliche Rädelsführer festzunehmen, verhafteten sie stattdessen etwa 40 Arbeiter.
15 von ihnen wurden über Nacht eingesperrt und am nächsten Morgen, dem 25. März 1920, auf dem Transport nach Mechterstädt von Mitgliedern des Studentenkorps erschossen – angeblich „auf der Flucht“. Die Ermordeten waren Arbeiter aus der Region im Alter von 18 bis 54 Jahren. Durch die brutalen Erschießungen verloren ihre Familien Väter, Ehemänner und Söhne.
Hintergründe und Ablauf der Ereignisse
Nach dem Kapp-Putsch am 13. März 1920 mobilisierte das Marburger Studentenkorps rund 1.800 Mann. Das erste Bataillon umfasste 10 Kompanien mit insgesamt 805 freiwilligen studentischen Kämpfern, größtenteils Offiziere und Unteroffiziere der Reserve. Das zweite Bataillon bestand aus 800 Mann unter Führung von Hauptmann Buttlar, darunter eine „Volkskompanie“ mit 80 Mitgliedern aus Anhängern der Weimarer Koalition und der Studentenverbindung „Hassia“. Etwa ein Drittel der Korpsmitglieder waren nicht-korporierte Studenten. Dem zweiten Bataillon war zusätzlich eine 9. Kompanie aus republikfreundlichen Studenten angegliedert.
Das Studentenkorps wurde zur gewaltsamen Niederschlagung von Aufständen in Thüringen nach dem Kapp-Putsch eingesetzt. In Bad Thal nahmen sie 15 Männer fest, die verdächtigt wurden, einen „roten“ Aufstand anzuführen. Diese wurden in der Nacht eingesperrt und am nächsten Morgen auf dem Weg nach Mechterstädt von Angehörigen des „Studentenkorps Marburg“ auf der Straße zwischen Mechterstädt und Gotha in Thüringen erschossen.
Die Opfer und ihre Familien
Die 15 ermordeten Arbeiter hinterließen Familien, die durch diese Gewalttat ihre Väter, Ehemänner und Söhne verloren. Seit 1921 erinnert ein Gedenkstein auf dem Friedhof in Thal, wo die Opfer beigesetzt wurden, an das schreckliche Massaker.
Name | Alter | Beruf | Herkunft |
---|---|---|---|
Hermann Heuschkel | 54 | Bergmann | Bad Thal |
Adolf Schröter | 37 | Bergmann | Ruhla |
Otto Bergner | 21 | Schlosser | Seebach |
Kurt Bock | 18 | Schmied | Thal |
„Sie nahmen mich und 14 andere fest. In der Nacht sperrten sie uns ein. Am Morgen brachten sie uns raus auf die Straße nach Mechterstädt. Dann haben sie uns erschossen. Ich lag zwischen den Toten und stellte mich auch tot. So habe ich überlebt.“
– Aussage eines überlebenden Arbeiters
Das Massaker von Mechterstädt steht beispielhaft für die brutale Gewalt von reaktionären Kräften gegen Arbeiter während des Kapp-Putsches. Die Erschießungen unschuldiger Männer erschütterten die Region zutiefst. Die juristische Aufarbeitung der Ereignisse begann erst Jahre später und endete mit milden Strafen für die Täter des Studentenkorps.
Bogislav von Selchow in Mechterstädt – Aufarbeitung und Gedenken
Die Aufarbeitung der Ereignisse von Mechterstädt und die Erinnerung an die Opfer des Massakers gestalteten sich über viele Jahrzehnte hinweg als schwierig. Die juristische Aufarbeitung blieb mangelhaft, während die Erinnerungskultur nur langsam Gestalt annahm.
Juristische Aufarbeitung und Prozesse
Die tatbeteiligten Studenten des Marburger Studentenkorps mussten sich zunächst 1920 vor einem Kriegsgericht in Marburg verantworten. Doch trotz der erdrückenden Beweislage und Zeugenaussagen endete das Verfahren mit Freisprüchen für die Angeklagten. Auch die Berufungsverhandlung vor dem Kasseler Schwurgericht und das Revisionsverfahren vor dem Leipziger Reichsgericht zwei Jahre später brachten kein anderes Ergebnis. Beweise verschwanden auf mysteriöse Weise, Zeugenaussagen wurden gefälscht – ein eklatanter Fall von Gesinnungsjustiz, wie er in der Weimarer Republik leider keine Seltenheit darstellte.
Erinnerungskultur und Mahnmale
Erst im Jahr 2019, fast ein Jahrhundert nach den schrecklichen Ereignissen, brachte die Universität Marburg eine Gedenktafel an, die an das Massaker erinnert. Zuvor gab es lediglich den 1921 errichteten Gedenkstein auf dem Friedhof in Thal als Mahnmal. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky, der die Prozesse als Journalist verfolgt hatte, verarbeitete das Geschehen im sarkastischen „Marburger Studentenlied“. Darin prangerte er die Gesinnungsjustiz an, die die Täter vor Strafe schützte und die Opfer verhöhnte.
„Zu Marburg an der Lahn, / da hört‘ ich frohe Mär, / da schoss man fünfzehn Mann / aus purem Schießpläsier. / Die Herren Korpsstudenten / hab’n es mit Lust getan.“
– Kurt Tucholsky, „Das Marburger Studentenlied“ (1920)
Heute erinnern folgende Mahnmale und Gedenkstätten an das Massaker von Mechterstädt und seine Opfer:
- Gedenkstein auf dem Friedhof in Bad Thal (errichtet 1921)
- Gedenktafel an der Universität Marburg (angebracht 2019)
- Jährliche Gedenkveranstaltung und Kranzniederlegung in Mechterstädt am Jahrestag des Massakers
Trotz dieser Mahnmale bleibt die Erinnerung an die Opfer von Mechterstädt oft lückenhaft. Die juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung der Ereignisse lässt noch immer viele Fragen offen. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung wachzuhalten und sich kritisch mit der Rolle von Studentenverbindungen und der Justiz in der Weimarer Republik auseinanderzusetzen.
Fazit
Das Massaker von Mechterstädt steht exemplarisch für den rechten Terror in der Frühphase der Weimarer Republik. Die Morde an 15 Gefangenen durch das Freikorps Epp unter Führung von Bogislav von Selchow erschütterten die junge Demokratie zutiefst. Der anschließende Freispruch aller Angeklagten durch ein Kriegsgericht offenbarte die verheerenden Auswirkungen einer ideologisch verblendeten Justiz.
Die jahrzehntelang nur unzureichende historische Aufarbeitung und Erinnerung an die Geschehnisse mahnt uns, wie wichtig eine schonungslose Auseinandersetzung mit derartigen Verbrechen ist. Nur durch aktives Gedenken und die Entwicklung einer lebendigen Erinnerungskultur können wir verhindern, dass sich solche Taten wiederholen und unsere demokratischen Werte ausgehöhlt werden.
Das Beispiel Mechterstädt zeigt, wie fragil die Errungenschaften der Demokratie sein können, wenn sie nicht entschlossen verteidigt werden. Es ist unsere Pflicht, wachsam zu bleiben und uns immer wieder aufs Neue für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einzusetzen. Nur so können wir das Vermächtnis derer ehren, die im Kampf gegen den rechten Terror ihr Leben ließen.